Sagen und Legenden…

Wie bei vielen alten Bauwerken ranken sich auch um die Mauern der Vernaburg zahlreiche Sagen und Legenden. Viele, die noch in Kindertagen auf der Anlage spielten, waren auf der Suche nach dem “Geheimgang”, der einst von der Burg bis zur Kirche oder gar bis nach Salzkotten führen sollte. Auch in der Literatur findet man einige Stellen, von denen hier berichtet werden soll.

Die zwei Hünen von Boke und Verne


In der auf dem südlichen Lippeufer früher in Wald, Sumpf und Moor versteckten Bauerschaft Barbruch sieht man noch heute eine stark zusammengeschrumpfte Wallanlage, im Volksmunde die Hünenburg genannt. Der Altertumsforscher Ludwig Hölzermann wollte in ihr die Reste eines römischen Prätoriums sehen, das dem Lager auf Kirchboke zugeordnet gewesen sei. In Wirklichkeit war die Hünenburg eine mittelalterliche Turmanlage, die erst in Verbindung mit der Burg auf Ringboke am Zusammenflusse von Lippe und Gunne ihren Sinn erhielt.

Ihren Namen soll sie von dem Boker Riesen erhalten haben, der auf dieser Burg im sumpfigen, unzugänglichen Barbruch hauste. Sein Zwillingsbruder, der Riese von Verne, wohnte auf der dortigen Krebsburg, deren Ruinen heute noch stehen. Beide hielten gute Nachbarschaft und halfen einander. Sie arbeiteten, beteten, brauten, schmorten, backten und zechten zusammen, waren aber auch immer zu übermütigen Streichen und Possen aufgelegt, wobei der eine dem andern einen Schabernack zu spielen suchte. Ihr Brot backten sie gemeinsam in dem riesigen Backofen auf der Krebsburg, wohin der Boker Riese seinen Teig zu bringen pflegte. Nun war wieder einmal Backtag angesetzt. In der Nacht aber hatte der Verner Hüne einen sehr unruhigen Schlaf, so dass er sich mehrere Male auf seinem Lager umdrehte, was auch seinem Nachbarn an der Lippe den Schlaf verdarb. Plötzlich um ein Uhr aber wurde der Verner von einem Floh gebissen. Mit einem ungeheuren Getöse warf er sich auf seinem Lager herum und kratzte sich. Das schreckte auch den Boker, der die Geräusche als letzte Vorbereitungen am Backofen auf der Krebsburg deutete, von seinem Bette auf. Eilends machte er sich mit dem Brotteig auf den Weg nach Verne, wo er schon nach einer halben Stunde keuchend und schwitzend ankam. Der Hüne von Verne aber, der noch friedlich im Bette lag, machte sich über seinen Boker Bruder lustig und fuhr ihn an:” Was willst du schon hier, es ist ja erst halb zwei Uhr?” Damit drehte er sich um und ließ seinen Nachbarn stehen, der voller Ärger warten mußte, bis der Tag graute. Schon bald bot sich dem Boker Riesen eine günstige Gelegenheit, sich durch einen Streich an seinem Bruder zu rächen. Es war im Sommer, und beide waren auf den Lippewiesen bei Boke gerade dabei, ihre Heuernte einzubringen. Da zog plötzlich ein schweres Gewitter herauf. Da der Verner einsah, dass er trotz seiner Bärenkraft den weiten Weg bis zur Krebsburg nicht mehr trocken zurücklegen konnte, schob er sein Fuder kurz entschlossen in sein Nasenloch. Sein Boker Freund aber nahm just eine starke Brise Schnupftabak, wohl wissend, dass Niesen ansteckt. Noch eine kurze Zeit vermochte der Verner das Niesen zu unter-drücken, was den Boker ungemein belustigte. Dann aber prustete sein Nachbar los, dass das Heu auf die Lippe-wiesen flog, wo es von dem Gewitterregen völlig durchnäßt wurde, und der Wagen zu Bruch ging. Die beiden Hünen von Boke und Verne arbeiteten nicht nur einträchtig zusammen, sondern sie besuchten auch gemeinsam den Gottesdienst in der Boker Kirche. Dieses Gotteshaus aber stand jenseits des Lippeflusses. Die Lippe trat besonders zur Winterzeit häufig über die Ufer und überschwemmte weit und breit die niedrig gelegenen Wiesen im Barbruch. Um trockenen Fußes ihre Kirche aufsuchen zu können, faßten die beiden den Plan, das Gotteshaus auf das hochgelegene sandige Ufer zu tragen. Gesagt, getan. Der Verner Riese nahm die gesamte Kirche mit dem wuchtigen Turme auf den Arm und ging vorsichtigen Schrittes mit seiner schweren Last bis ans Lippeufer. Dort erwartete ihn sein Zwillingsbruder aus Boke, der sein rechtes Bein als Brücke über den Fluss gelegt hatte. Schritt für Schritt brachte der Verner dann das Gotteshaus wohlbehalten auf die andere Seite. Er stellte es auf den Platz, wo noch heute die alte Pfarrkirche von Boke steht.

Aus Dürrs Sammlung deutscher Sagen, Band 5.